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Wednesday, December 18, 2013

"Angezogen" von Barbara Vinken

 

Rezension Dagmar Buchta 15. Dezember 2013, dieStandard.at

Mit "Angezogen" legt Barbara Vinken eine Geschichte der Mode vor, die abseits üblicher Erzählstile von Entfremdung und Fetischisierung berichtet

Den Wandel der Mode als bloße Launenhaftigkeit exzentrischer DesignerInnen abzutun sei weit gefehlt, meint Barbara Vinken. Denn ganz gleich, ob wir modebewusst sind oder nicht, bei der Kleidung folgen wir - meist ahnungslos - bestimmten Regeln, denen zu entkommen gar nicht so leicht ist. In ihrem neuen Buch "Angezogen" beschreibt die deutsche Literaturwissenschafterin die wechselnden Moden als ein differenziertes Zeichensystem, das die kulturellen und gesellschaftspolitischen Bedingungen der Geschlechter widerspiegelt und in ihrem Ausdruck sogar noch verstärkt.

Am Beispiel der Unisexmode trete das Zusammenspiel besonders deutlich zutage. Obwohl sich die Kleidung von Frauen und Männern seit der Moderne angenähert hat, heißt das noch lange nicht, dass sich beide gleich anziehen. Ein Blick auf die herkömmliche Streetwear genügt, um diese These zu verifizieren: Männer treten nach wie vor zum überwiegenden Teil im Anzug oder in Hose, Sakko und Blouson auf, meist in gedeckten Farben. Also gewissermaßen uniformiert und unscheinbar, wobei - und das ist laut Vinken am prägnantesten - ihre Geschlechtlichkeit im Sinne sexueller Attribute unkenntlich, ja nahezu verborgen bleibt. Im Vergleich dazu offenbare die Frauenkleidung das genaue Gegenteil.

Gescheiterte Befreiungsversuche

Auch wenn Frauen in "männliche Kleidungsstücke" wie Hosen und Anzüge schlüpfen, sei es ihnen unmöglich, das "Weiblich-Weibische" hinter sich zu lassen und androgyn oder asexuell zu werden, wie es emanzipatorische Befreiungsbestrebungen beabsichtigt hatten. Der Clou dabei: Die Versuche des Abwerfens alter Einengungen in der weiblichen Mode wie beispielsweise des Korsetts hätten zu immer wieder neuen Inszenierungen zur Betonung der weiblichen Silhoutte geführt. So rückten im Falle der Hosen nicht nur die Beine, die nun schlank, lang und länger sein sollen, ins für alle sichtbare Blickfeld, sondern auch Po und Genitalien. Diese Angleichung an "Männlichkeit" habe paradoxerweise, entgegen der ursprünglichen Intention, mehr als je zuvor den weiblichen Körper in den Fokus der genauen Betrachtung gestellt, von dem nun verlangt werde, trainiert und mit dezenten Muskeln ausgestattet zu sein. Dadurch sei eiserne Disziplin mit dem ganzen Programm an Sport und Diäten für die Frauen zum neuen Auftrag geworden.

Die Unisexmode sei daher eine extrem widersprüchliche Angelegenheit, konstatiert Vinken. Die angestrebte "emanzipatorische Bewegungsfreiheit für Frauen" - Hosen, kurze Röcken, offenes Haar etc. - sei folglich ein Eigentor. Auch heute noch ordne sich die Form der praktischen Funktion nicht unter, im Gegenteil: Sie schiebe sich um ihrer selbst willen in den Vordergrund: "Weibliche Mode stellt immer zur Schau, und das vielleicht gerade dann am effektivsten, wenn sie ostentativ darauf zu verzichten scheint".

Unisex verschärft die Differenz

Die Geschichte der weiblichen Mode sei daher keine "Erfolgsgeschichte einer Subjektwerdung nach männlichen Mustern", sondern erzähle "vom Objektwerden des Weiblichen, von Entfremdung, Verdinglichung und Fetischisierung". Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sei Weiblichkeit im Rahmen der modernen Konsum- und Warenkultur zum Spektakel verkommen. Ob als Revue-Girls, Chorus-Girls, Show-Girls - anziehend durch ihren Sex-Appeal, werden Frauen seither zur Schau gestellt wie Waren. In dieser Perspektive würde die Mode hemmungslos die sinnliche Erscheinung der Frauen, die nichts anderes mehr sei als die hergerichtete Hülle, bekräftigen. "Während Männer zu selbstbestimmten, geschichtsmächtigen Subjekten geworden sind, ist Weiblichkeit zur Ware und die Ware weiblich geworden", so die Autorin, die in der Entfremdung und Verdinglichung der Mode "die freudlose Rückseite der Emanzipation" ortet. Speziell an der Unisexmode würde die Gleichheit von Frau und Mann zur Farce werden. Sie sei nicht nur "alles andere als unisex", sondern unterstreiche im Gegenteil gerade das, was die Geschlechter trennt, und verschärfe dadurch die Differenz.

Wenn Kleider sprechen

"Was immer eine Frau in der Öffentlichkeit sagt, ihre Kleider scheinen dabei in einer Weise mitzusprechen, die bei Männern undenkbar ist. Nicht was sie sagt, sondern was sie trägt, zählt." Ihre Kleider, ihre Frisur, ihr Aussehen insgesamt ist nach wie vor Kommentare wert, beim Mann hingegen wird darauf nur selten ein Wort verschwendet. Emanzipation hin oder her, schlussfolgert Barbara Vinken, es sehe ganz danach aus "dass wir uns noch in der Geschlechterordnung des 19. Jahrhunderts befinden. Unisex ist vielleicht Wunschvorstellung oder Horrorszenario, aber sicher eines nicht: Realität."

Woran das wohl liegen mag? Diese Antwort bleibt die Autorin leider schuldig. Obwohl sie zu Beginn ihres Buches schreibt: "Der Modewandel hat System. Fragt sich nur welches?", hält sie sich in ihrer immerhin über 230 Seiten starken Abhandlung nicht damit auf, die Zusammenhänge von Mode und den sie möglicherweise beeinflussenden gesellschaftspolitischen Faktoren näher zu durchleuchten bzw. auch auf jene Subkulturen zu verweisen, in denen geschlechterduale Mode-Diktate schon längst unterlaufen werden. Dennoch: ein überaus interessantes und kritisches Buch.

Quelle

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